Kommentar

Julia Klöckners Kirchenkritik – Eine säkulare Betrachtung

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Julia Klöckner in der WDR-Sendung "hart aber fair" am 28. Mai 2024
Julia Klöckner

Wenn am morgigen Samstag der verstorbene Papst Franziskus zu Grabe getragen wird, ist auch die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner unter den Trauergästen. Die CDU-Politikerin macht derzeit mit Kirchenkritik von sich reden – allerdings ging es ihr weder um den Missbrauchsskandal noch um die Trennung von Staat und Kirche. Klöckner beklagte, dass die Kirchen nach ihrer Ansicht zu wenig spirituellen Halt böten.

Stattdessen trete die Kirche auf wie eine beliebige NGO, war am Osterwochenende in Klöckners Interview mit dem Boulevardblatt Bild zu lesen. "Klar kann sich Kirche auch zu Tempo 130 äußern, aber dafür zahle ich jetzt nicht unbedingt Kirchensteuer", so das Fazit der studierten Theologin.

Kirchensteuer: Tatsächlich sparen sich immer mehr Menschen in Deutschland diese Ausgabe, indem sie aus der Kirche austreten. Noch entscheidender ist jedoch der enorme Vertrauensverlust der Institutionen. Der Missbrauchsskandal und seine zögerliche Aufarbeitung haben hierzu entscheidend beigetragen. Hinzu kommt, dass die Weltanschauungslandschaft in Deutschland zusehends vielfältiger wird. Nur eine Minderheit der Deutschen gehört noch den großen Kirchen an, die Mehrheit lebt schon jetzt konfessionsfrei, Tendenz steigend.

Als Bundestagspräsidentin bekleidet Julia Klöckner das zweithöchste Amt im Staat. In einem säkularen Staat, wohlgemerkt. Dennoch verwischt sie die Grenzen zwischen staatlicher Neutralität und Kirchentreue. Das Bild-Interview ist nicht der erste derartige Vorfall seit Klöckners Amtsantritt am 25. März. Bereits kurz nach ihrer Wahl bezog sie in einem Interview mit dem katholischen domradio eine Position, die direkt von der Kirche selbst kommen könnte. Zu Fragen bioethischer Natur, die Anfang und Ende des Lebens beträfen, sagte sie: "Da wünsche ich mir von meiner Kirche, dass sie standhaft ist und nicht automatisch schaut, ob es Applaus gibt oder nicht." Und weiter: "Wenn es um das ungeborene Leben geht oder das Leben, das den letzten Atemzug macht, also um die Fragen, was der Mensch darf oder was er nicht darf, dann sind das Punkte, wo unsere Kirche auch mit Blick auf Bewahrung der Schöpfung durchaus die Stimme erheben kann und auch sollte."

Doch wenn Klöckner "meine" und "unsere Kirche" beschwört – in welcher Rolle spricht sie überhaupt? Hier verleiht die Bundestagspräsidentin konservativen kirchlichen Positionen zu Schwangerschaftsabbruch und selbstbestimmtem Lebensende ein offizielles Gewicht – obgleich sie eine Bevölkerung repräsentiert, die sich in beiden Fragen mehrheitlich für individuelle Selbstbestimmung ausspricht – im Übrigen tun das auch viele Kirchenmitglieder.

Julia Klöckner wäre gut beraten, die gesellschaftliche Realität anzuerkennen – als Vertreterin einer Gesellschaft, die sich zunehmend für weltanschauliche Neutralität entscheidet.

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