Wenn am morgigen Samstag der verstorbene Papst Franziskus zu Grabe getragen wird, ist auch die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner unter den Trauergästen. Die CDU-Politikerin macht derzeit mit Kirchenkritik von sich reden – allerdings ging es ihr weder um den Missbrauchsskandal noch um die Trennung von Staat und Kirche. Klöckner beklagte, dass die Kirchen nach ihrer Ansicht zu wenig spirituellen Halt böten.
Stattdessen trete die Kirche auf wie eine beliebige NGO, war am Osterwochenende in Klöckners Interview mit dem Boulevardblatt Bild zu lesen. "Klar kann sich Kirche auch zu Tempo 130 äußern, aber dafür zahle ich jetzt nicht unbedingt Kirchensteuer", so das Fazit der studierten Theologin.
Kirchensteuer: Tatsächlich sparen sich immer mehr Menschen in Deutschland diese Ausgabe, indem sie aus der Kirche austreten. Noch entscheidender ist jedoch der enorme Vertrauensverlust der Institutionen. Der Missbrauchsskandal und seine zögerliche Aufarbeitung haben hierzu entscheidend beigetragen. Hinzu kommt, dass die Weltanschauungslandschaft in Deutschland zusehends vielfältiger wird. Nur eine Minderheit der Deutschen gehört noch den großen Kirchen an, die Mehrheit lebt schon jetzt konfessionsfrei, Tendenz steigend.
Als Bundestagspräsidentin bekleidet Julia Klöckner das zweithöchste Amt im Staat. In einem säkularen Staat, wohlgemerkt. Dennoch verwischt sie die Grenzen zwischen staatlicher Neutralität und Kirchentreue. Das Bild-Interview ist nicht der erste derartige Vorfall seit Klöckners Amtsantritt am 25. März. Bereits kurz nach ihrer Wahl bezog sie in einem Interview mit dem katholischen domradio eine Position, die direkt von der Kirche selbst kommen könnte. Zu Fragen bioethischer Natur, die Anfang und Ende des Lebens beträfen, sagte sie: "Da wünsche ich mir von meiner Kirche, dass sie standhaft ist und nicht automatisch schaut, ob es Applaus gibt oder nicht." Und weiter: "Wenn es um das ungeborene Leben geht oder das Leben, das den letzten Atemzug macht, also um die Fragen, was der Mensch darf oder was er nicht darf, dann sind das Punkte, wo unsere Kirche auch mit Blick auf Bewahrung der Schöpfung durchaus die Stimme erheben kann und auch sollte."
Doch wenn Klöckner "meine" und "unsere Kirche" beschwört – in welcher Rolle spricht sie überhaupt? Hier verleiht die Bundestagspräsidentin konservativen kirchlichen Positionen zu Schwangerschaftsabbruch und selbstbestimmtem Lebensende ein offizielles Gewicht – obgleich sie eine Bevölkerung repräsentiert, die sich in beiden Fragen mehrheitlich für individuelle Selbstbestimmung ausspricht – im Übrigen tun das auch viele Kirchenmitglieder.
Julia Klöckner wäre gut beraten, die gesellschaftliche Realität anzuerkennen – als Vertreterin einer Gesellschaft, die sich zunehmend für weltanschauliche Neutralität entscheidet.

9 Kommentare
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Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Das Problem ist, dass unsere Volksvertreter oft nicht das zur Neutralität verpflichtende Grundgesetz vertreten, sondern immer noch Opfer frühkindlicher Indoktrination mit einer unrealistischen Weltanschauung sind, ein
Marianne Schweizer am Permanenter Link
Lässt sich das mit der Herkunft aus der Bonzezeit auch noch genauer sagen?
Roland Fakler am Permanenter Link
Liebe Marianne, deine Nachfrage ist sehr berechtigt. Tatsächlich habe ich mich in Facebook schon korrigiert.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
In Ergänzung zu dem, was Roland Fakler bereits ausführte: Die Ursprünge der biblischen und koranischen Mythen entstammen sogar dem Neolithikum, als der Scheitel des Fruchtbaren Halbmondes (im Quellgebiet von Euphrat u
Dies führte zur Sesshaftigkeit des Menschen samt Regelfeldbau und der Notwendigkeit, diese Art des Zusammenlebens neu zu strukturieren. Dabei entstanden viele der Regeln, die sehr viel später - autorisiert durch einen missverstandenen Vulkan - in Gesetzbüchern notiert wurden, aus denen dann der Tanach (das AT der Bibel) kompiliert wurde.
In diesem Entstehungsprozess liegen die Gründe für das tiefverwurzelte Patriarchat, für die Unterdrückung der Frau und den spalterischen Monotheismus...
Tim Mangold am Permanenter Link
Eine treffende Beschreibung lieber Herr Fackler
Christian Meißner am Permanenter Link
Das Neutralitätsgebot bezieht sich auf Politiker:innen, die in ihrem Handeln der Funktion von Staatsorganen als solche gerecht werden, wie zum Beispiel der Bundespräsident, der Bundeskanzler oder die einzelnen Bundesm
Deswegen ist es diesen Menschen untersagt, IN IHRER FUNKTION ALS jeweilige(r) Amtsträger(-in) und unter "Rückgriff auf die mit dem [z. B.] Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten" (Urteil des BVerfG vom 16.12.2014) in den parteipolitischen Wettbewerb einzugreifen.
Normale Volksvertreter:innen, also Parlamentarier:innen, sind davon nicht betroffen, da sie nicht den Bundestag als solchen repräsentieren, sondern ihren jeweiligen Wahlkreis und/oder die Partei, über deren Liste sie in den Bundestag eingezogen sind. Insofern sind sie Teilnehmende des politischen Wettbewerbs, den es ja durch das Neutralitätsgebot gerade zu schützen gilt.
Gemäß Artikel 21 GG der Bundesrepublik Deutschland ist dieses Land eine Parteiendemokratie. Parteien stehen - im Rahmen des Prozesses der politischen Willensbildung - miteinander im Wettbewerb und können sich folglich gar nicht neutral verhalten.
Wenn auf gewöhnliche Parlamentarier:innen das Neutralitätsgebot Anwendung fände, würde dies suggerieren, dass nach der heutzutage vorherrschenden pluralistischen Demokratieauffassung (im Gegensatz zum Rosseau'schen volonté generale) diese nicht mehr dem Wählerwillen verpflichtet wären, wodurch in letzter Konsequenz die Staatsgewalt nicht mehr vom Volke ausginge (Art 20 Abs 4 GG).
Christian Meißner am Permanenter Link
"Art 20 Abs 2 GG" muss es im letzten Absatz meines vorherigen Beitrages heißen.
AW am Permanenter Link
Für mich, ein Grund zum sofortigen Rücktritt aus dem Amt .
Aber das juckt heutzutage sowieso keinen , da kann man noch ganz andere Schoten von sich geben ( z.B Spahn und die AfD)
Thomas Spickmann am Permanenter Link
Die Julia hätte ihren jetzigen Posten nie bekommen, wenn es keine Frauenemanzipation gegeben hätte, die gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen durchgesetzt werden musste.